Seite 6 - Leseprobe Brain View

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Die Motiv- und Emotionssysteme bestimmen
die Wahrnehmung des Kunden
Es ist eine wichtige Erkenntnis in der Philosophie, dass unsere Wahrneh-
mung und Weltsicht nicht objektiv ist. Wir betrachten und bewerten die
Welt immer durch die Brille eigener Erfahrungen, kultureller und ge-
schichtlicher Muster. Diese Brille und ihr Einfluss auf unsere Wahrneh-
mung sind uns selbst unbewusst. Ein alter Römer beispielsweise, der im Ko-
losseum vergnügt dem tödlichen Kampf von Gladiatoren zugesehen hat,
hätte die Frage nach den Menschenrechten völlig anders beantwortet als
ein Westeuropäer, der mit den Werten „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“
aufgewachsen ist. Beide wären aber vermutlich der Überzeugung, dass ihre
Meinung objektiv richtig ist. Doch diese geschichtlich-kulturelle Brille ist
nicht das Einzige, was unsere Wahrnehmung von der Welt beeinflusst.
Wesentlich stärker und genauso unbewusst wird die Weltwahrnehmung
und Weltdeutung des Kunden von seinen Emotions- und Motivationssyste-
men bestimmt. Angenommen ein Traditionalist (höhere Ausprägung des
Balance-Systems), ein Performer (höhere Ausprägung des Dominanz-Sys-
tems) und ein Hedonist (höhere Ausprägung des Stimulanz-Systems) ste-
hen im Schauraum desselben Autohändlers vor demselben Auto mit dem
Wunsch, sich ein solches zu kaufen. Beginnen wir beim Traditionalisten.
Wie betrachtet er das Auto? In seinem Bewusstsein tauchen sofort folgende
Fragen auf: „Hat das Auto ABS?“, „Wie viele Airbags hat der Wagen?“, „Wie
hat das Auto im Euro-Crashtest abgeschnitten?“, „Welchen Platz nimmt die-
ses Auto in der Pannenstatistik des ADAC ein?“. Gelingt es nun dem Auto-
händler, auf diese Fragen überzeugend zu antworten, so ist der Traditiona-
list bereit, sein Geld für dieses Auto auszugeben. Da die wenigsten Men-
schen wissen, was sie für ein Typ sind, bleibt dem Traditionalisten verbor-
gen, warum er genau diese Fragen gestellt hat und was da tatsächlich in sei-
nem Gehirn abgelaufen ist.
Nun versetzen wir uns in den Performer, der von einem hohen Macht- und
Statusstreben beherrscht wird. Wie betrachtet er das Auto? Er schaut zuerst
auf die breiten Reifen und auf die Alufelgen. Er hört sich erfreut den Aus-
puff an. Und schließlich fragt er, wie viel PS der Motor hat und wie schnell
das Auto von null auf hundert Stundenkilometer beschleunigt. Auch ihm
bleiben die tatsächlichen Ursachen seiner Produktbeurteilung verborgen.
Und während sich die Fantasie des Harmonisers ausmalt, wie er und seine
Familie in diesem Auto sicher unterwegs sind, wird das Bewusstsein des
Performers vom Gedanken beherrscht, welchen Eindruck er mit diesem Au-
to bei seinen Kollegen oder beim anderen Geschlecht machen könnte.